Auslöser der Wahrnehmung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII sind sogenannte „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen.
WIESNER sagt hierzu: „Unter gewichtigen Anhaltspunkten sind konkrete Hinweise zu verstehen, die auf eine Gefährdung bzw. eine Dynamik, die eine Gefährdung auslösen kann, hindeuten.“ (WIESNER et.al.: SGB VIII. Kommentar. 6. Aufl. 2022, S. 129, RN 14) Diese beziehen sich auf konkrete beobachtbare Handlungen der Kinder oder Lebensumstände, die das leibliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährden, unabhängig davon, ob sie durch eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten
eines Dritten bestehen.
WICHTIG: Die nachfolgend genannten möglichen gewichtigen Anhaltspunkte sind nicht als abschließender „Katalog“ zu verstehen. Sie sollen als Orientierung dienen.
Ergänzend zu diesem Thema gibt es die Handlungsorientierung.
Als Kindeswohl gefährdende Erscheinungsformen lassen sich grundsätzlich unterscheiden
- körperliche und/oder seelische Vernachlässigung,
- körperliche und/oder seelische Misshandlung,
- sexuelle Gewalt.
Anhaltspunkte für Fachkräfte zur besseren Erkennung von Gefährdungssituationen sind im Wesentlichen zu suchen…
- im Erleben und Handeln des jungen Menschen,
- in der Wohnsituation,
- in der Familiensituation,
- in dem elterlichen Erziehungsverhalten,
- in der Entwicklungsförderung,
- in traumatisierenden Lebensereignissen und
- im sozialen Umfeld.
Wichtig ist hierbei:
- Sie müssen in der Anwendung altersspezifisch betrachtet werden.
- Auf die besondere Situation (chronisch) kranker und behinderter Kinder ist Rücksicht zu nehmen.
- Eine große Rolle spielt auch die Fähigkeit und Bereitschaft der Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zur Problemeinsicht, Mitwirkungsbereitschaft und der Motivation, Hilfe anzunehmen.
- Anhaltspunkte beim Kind
Anhaltspunkte beim Kind
- Nicht plausibel erklärbare sichtbare Verletzungen (auch Selbstverletzungen)
- Körperliche oder seelische Krankheitssymptome (z. B. Einnässen, Ängste, Zwänge…)
- Unzureichende Flüssigkeits- oder Nahrungszufuhr
- Fehlende, aber notwendige ärztliche Vorsorge und Behandlung
- Zuführung die Gesundheit gefährdender Substanzen
- Für das Lebensalter mangelnde Aufsicht
- Hygienemängel (z. B. Körperpflege, Kleidung…)
- Unbekannter Aufenthalt (z. B. Weglaufen, Streunen…)
- Fortgesetzte unentschuldigte Schulversäumnisse oder fortgesetztes unentschuldigtes Fernbleiben von der Tageseinrichtung
- Gesetzesverstöße
Anhaltspunkte in Familie und Lebensumfeld
- Gewalttätigkeiten in der Familie
- Sexuelle oder kriminelle Ausbeutung des Kindes
- Eltern psychisch oder suchtkrank, körperlich oder geistig beeinträchtigt
- Familie in finanzieller bzw. materieller Notlage
- Desolate Wohnsituation (z. B. Vermüllung, Wohnfläche, Obdachlosigkeit…)
- Traumatisierende Lebensereignisse (z. B. Verlust eines Angehörigen, Unglück…)
- Erziehungsverhalten und Entwicklungsförderung durch Eltern schädigend
- Soziale Isolierung der Familie
- Desorientierendes soziales Milieu bzw. desorientierende soziale Abhängigkeiten
Anhaltspunkte hinsichtlich Mitwirkungsbereitschaft und -fähigkeit
- Kindeswohlgefährdung durch Erziehungs- oder Personensorgeberechtigte nicht abwendbar
- Fehlende Problemeinsicht
- Unzureichende Kooperationsbereitschaft
- Mangelnde Bereitschaft, Hilfe anzunehmen
- Bisherige Unterstützungsversuche unzureichend
- Frühere Sorgerechtsvorfälle
Weitere beispielhafte Indikatoren:
Grundversorgung und Schutz:
Ernährungssituation z.B. zu geringe Gewichtszunahme beim Säugling, überalterte oder verdorbene Nahrung, zu wenig Nahrung, mangelnde Hygiene des Ess- Kochgeschirrs, keine Abwechslung in der Nahrung, unregelmäßiges und nicht zuverlässiges Essen und Trinken, Zeichen von Über- und Fehlernährung….
Schlafsituation z.B. kein eigener Schlafplatz, beengter Schlafplatz, fehlendes Bett, fehlende Matratze, ungeregelter Tag-Nacht- Rhythmus…
Kleidung z.B. mangelnder Schutz vor Hitze/ Kälte/ Nässe, zu enge Kleidung, zu kleine Schuhe
Körperpflege z.B. unregelmäßiges oder zu seltenes Wickeln, unregelmäßiges oder sehr seltenes Waschen und Baden, Schmutz und Kotreste auf der Haust des Kindes, unbehandelte entzündete Hautoberflächen
Schutz vor Gefahren z.B. Nichtbeseitigung von Gefahren im Haushalt, Zeichen von Verletzungen
Betreuungssituation z.B. ohne altersentsprechende Aufsicht lassen, Überlassung der Aufsicht an fremde Personen, Kleinkind alleine in der Wohnung lassen, Kinder nachts alleine lassen
Gesundheitliche Vor- und Fürsorge z.B. Nicht- Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen, Nicht erkennen oder behandeln von Krankheiten
Anregung/ Spielsituation: Karge und nicht ausgestattete Spielräume für das Kind, Fernseher als einziges Angebot, Sprachstörungen
Unsachgemäße Behandlung von Entwicklungsstörungen
Gewährung altersangemessener Freiräume z.B. Einsperren, Kontaktverbot zu Gleichaltrigen, keine altersentsprechenden Freunde, Klammerung und Überbehütung, Überforderung durch zu große Verantwortungsbelastung
Emotionale Situation z.B. keine oder grobe Ansprache des Kindes, drohen, erniedrigen, schütteln, schlagen, Verweigerung von Trost und Schutz, Verweigerung von Körperkontakt, ständig wechselnde Bezugspersonen
Familiäre Situation/ Sicherung von familiären Erziehungsleistungen
Finanziell/ materielle Situation z.B. Einkommen deckt Basis Bedürfnisse der Familie nicht ab, Einkommen wird für Drogen, Alkohol verbraucht,
Häusliche /räumliche Situation z.B. Keine eigene Wohnung/ Obdachlosigkeit, zu geringer Wohnraum, gesundheitsgefährdende Wohnbedingungen
Familiäre Beziehungen z.B. aggressiver Umgangston in der Familie, depressive Grundstruktur in der Familie, Gewalt, Belastung der Familie durch Krankheit/ Sucht, offensichtliche Überforderung von Eltern, Instrumentalisierung der Kinder bei Beziehungs-, Trennungs- und Scheidungsproblemen
Soziale Situation der Familie z.B. Desintegration im sozialen Umfeld, keine familiale Einbindungen (Verwandtschaft), Schwellenängste gegenüber Institutionen
Kommunikation mit dem Kind z.B Nicht- Wahrnehmung von kindlichen Bedürfnissen, Isolation des Kindes, unstrukturierter Tagesablauf mit dem Kind, Unfähigkeit dem Kind Grenzen zu setzen, Auseinandersetzungen der Eltern um das Kind, Gewalt gegen das Kind

